Ich bin wieder zu Hause in Kanada und darueber bin ich froh. Ich bin aber auch froh, dass ich mal wieder in der Schweiz war. Das hat bei mir folgenden Grund:
Letzten Endes gibt es einen guten Grund warum man das Land, in dem man aufgewachsen ist, verlaesst. Bei mir war es die Enge, all die Verbote und Einschraenkungen. Der Hauptgrund aber war, dass man immer und ueberall angehalten wird die Schnauze zu halten, sich anzupassen und das Geschehene einfach hinzunehmen und akzeptieren - "Es ist halt so".
Dann kam ich nach Kanada. Alles neu und aufregend. Durch meine spezielle Situation als SW-Entwickler musste ich mich auch nicht um einen Job kuemmern und konnte mir so ein Jahr lang bisschen ueber's Internet arbeiten, Geld verdienen und eigentlich mein Leben das erste mal so richtig geniessen. Natuerlich ist dann alles besser - wer will da je zurueck...
Dann holt einem der Trott des Lebens wieder ein. Einfach nun in Kanada. Nun werden ploetzlich Sachen nervig, die vorher cool waren. 2 Stunden Auto fahren bis zur naechst groesseren Stadt z.B. Oder das fehlen eines wirklichen Buddy (Das Durchschnittsalter in meinem Dorf ist so 65 Jahre - trinken koennen die jedoch schon noch). Es gibt noch so einige Sachen die nicht perfekt sind. Doch da kann Kanada nichts dafuer.
Und ploetzlich kommt der Gedanke - vielleicht war es in der Schweiz doch nicht so schlecht. Vielleicht war es nur meine Umgebung, vielleicht... Wie meistens heilt die Zeit die Wunden und es bleiben nur die guten Erinnerungen. Deshalb war es fuer mich wirklich spannend, dass ich 14 Tage beruflich und privat in die Schweiz musste. Mal wieder sehen und fuehlen wie es dort war. Ich nahm meine kanadische Freundin mit. So zu sagen als unabhaeniger Beobachter.
Erschwerend kam hinzu, dass meine Kreditkarte in Kanada arg strapaziert wurde. Deshalb funktionierte der Lesestreifen nicht mehr. Die Kassierer mussten nun halt die Nummern eintippen. "Das geht bei uns nicht" ist einfach nur Bullshit - die sind nur zu faul. Das muss ueberall gehen denn das ist Teil des Vertrages mit den Kreditkarteninstituten. Warum ich das erzaehle? Es ist fuer mich so wie ein "konstanter Irritationsfaktor". D.h. das Problem (nicht funktionierender Streifen) ist ueberall das gleiche, jedoch die Reaktion des Verkaeufers immer anderst.
Mein erster Einkauf sollte eine Autobahnmarke auf der Autobahnraststaette in Pratteln sein. "Die Kart isch nit gut." Schnautzt mich der osteuropaeische Immigrant aus ex-Jugoslavien an der Kasse gleich mal an. "Da ist nur der Streifen kapputt, einfach nur die Nummern eintippen" erwiedere ich. "Das mache ich nit - die Kart isch nit gut. Du bezahlen mit Geld." "Ich habe kein Bargeld bei mir und brauch die Marke. Einfach nur die Nummern eintippen. Der Apparat sagt dann schon was zu tun ist." Nun mischt sich auch noch der andere Jugo an der Kasse neben an ein: "Du zahlsch oder kein Marke". Der erste faengt nun an mein Kreditkarte in die Hoehe zu halten und wedelt sie wie einen Fecher. Dazu bruellt er - damit es die ganze Raststaette mitbekommt - "Die Kart isch nit gut. Ich tippe nicht ein. Du gibsch mir jetzt Geld". Die Sache endete damit, dass ich mir der Kragen geplatzt ist und ich mir meine Kreditkarte zurueck genommen habe. Die stammelten noch was von "Ich hol Polizei". Und so wusste ich nach 10 Minuten genau wieder warum ich das Land verlassen habe.
Es kamen dann noch weitere solche Episoden hinzu. In Deutschland sagte mir ein Verkaeufer mal: "Ich sag Dir nur wo's lang geht!" Da musste ich einfach nur noch laut rauslachen. Es endeten so ca. 70% aller Einkaufe in Unmut bei der Bezahlung. Heute kenne ich die meisten Karten-Gerate und kann den Verkaeufern sagen, wie man die Nummern eintippt. Doch jetzt habe ich eine neue Karte. Zur Erinnerung: In Kanada wurde ich hoechstens gefragt ob ich nich noch eine andere Karte haette, danach wurde anstandslos und mit einem Laecheln die Nummern eingetippt.
Das eigentliche Problem in der Schweiz sind nicht die Auslaender (in meinem ex-Dorf 47%). Nein es sind die Schweizer: "They just don't have the balls to stand up and tell the truth". Das war der Schlusskommentar meiner Freundin nachdem ich mal wieder wo aufgestanden, meinem Kommentar abgegeben und davon gelaufen bin. Meine schweizer Freunde gaben dann wieder ihr "Du kannst doch nicht" und "Ist doch nicht so schlimm" zum besten. Ganz wie frueher - ich bin mal wieder "der komische" oder der "ueberarbeitete" und "der nicht gut drauf ist".
Ich habs nun endgueltig begriffen. Es ist nicht Kanada was mich gluecklich macht und es ist nicht die Schweiz was mich ungluecklich macht. Es ist der prozentuale Anteil von Arschloechern um mich rum. Ob der in Kanada kleiner ist weiss ich nicht. Ich hab noch nie darueber nachgedacht. Da die Befoelkerungsdichte hier nicht die gleiche ist, wurde bei mir die Arschloch-Schwellgrenze noch nie ueberschritten und ist somit kein Problem. Das zusaetzliche Wissen, dass ich im Notfall einfach mehr in den Norden ziehen koennte, verleit mir vermutlich zusaetzliche Suverenitaet.
Doch grundsaetzlich es ist in der Schweiz so: Zumindest meine Generation wurde zu Anstand und Ehrlichkeit erzogen. Ich musste auch immer das Essen was auf den Tisch kam. Damit habe ich ueberhaupt keine Probleme - im Gegenteil. Doch das funktioniert aber nur wenn alle mit machen. Und das tun in der heutigen Zeit immer weniger - und schon gar nicht die jenigen welche mit anderen Werten als wir aufgewachsen sind.
Und wenn mich nun wieder einer einen Rassisten nennen moechte dann bedenke aber, dass ich nun auch ein Auslaender bin. Aber einer der sich anpassen will. Ansonsten regelt sich das hier von ganz alleine. Denn "they have the balls".
@Duesentrieb: wenn das bezahlen mit der CC in DE/CH so ein problem für dich ist, wieso zahlst du dann nicht einfach cash? es ist halt nachwievor so, dass man im deutschsprachigen raum bar bezahlt vielleicht noch mit EC karte. das ist halt so...
was mich aber bei deinem beitrag am meisten gewundert hat: bisher empfand ich die leute in DE (kann nich so für CH sprechen) als sehr direkt - aber auch sehr ehrlich. man sagt, was man denkt. in CA und US empfand ich es immer etwas shallow. "wie geht's?" - Antwort:"Suuuper" (auch wenn einem zum kotzen ist...). auch hatte ich in CA immer das gefühl, dass man viele sachen eher nicht ansprechen sollte bzw. nicht unbedigt, das sagen sollte, was man denkt.
@hrt2fnd Was ist an Hoeflichkeit eigentlich flach? Hier in Nordamerika wird der informelle soziale Kontakt sehr hoch geschaetzt. Die Frage nach deinem Befinden drueckt selbstverstaendlich nicht das tiefe und ernsthafte Interesse daran aus, wie es dir tatsaechlich geht, sondern soll einen menschlichen Kontakt zu dem Gegenueber herstellen. Dadurch wird z. B. der Kassiervorgang vom einfachen Abfertigen des Geschaeftes "Geld gegen Ware" zu einem kurzem Austausch zwischen zwei Menschen. Dies hat den Sinn, dass sich jede Seite etwas besser fuehlt, da wir Menschen halt von sozialen Kontakten abhaengig sind. Kurzum Hoeflichkeit und Freundlichkeit sind hier unabdingbar im alltaeglichen Umgang miteinander. Der deutsche direkte Ton und insbesondere die deutsche "Ehrlichkeit" werden hier als ungehobelt betrachtet. Ich glaube, der sich in den letzten Jahren eingebuergerte Umgangston in DE ist eher auf Faulheit und Selbstueberheblichkeit zurueckzufuehren. Denn wenn man dem anderen die eigene "Wahrheit" entgegenhaelt, muss man sich natuerlich nicht mehr die Muehe machen, die Angelegenheit aus dem Blickwinkel des Gegenuebers zu betrachten. So kann man sich in seiner eigenen Ueberlegenheit sonnen. Ob dem Gegenueber damit geholfen wurde, ist vollkommen egal.
@Duesentrieb Die Jahrzehnte falscher oder fehlender Einwanderungspolitik deines Herkunftslandes mit Auslaenderfeindlichkeit zu beantworten, ist fuer einen Immigranten wirklich etwas seltsam. Hier in Kanada duerftest du solche Aeusserungen nicht oeffentlich tun, ohne zumindest mit Missachtung gestraft zu werden.
@stak74 Danke. Fuer das Bier in Muenchen hat die Zeit leider nicht gereicht. Doch vermutlich muss ich in zwei Wochen eh wieder kommen.
@hrt2fnd >>das ist halt so... Das ist genau das was ich meine
@kos >> Die Jahrzehnte falscher oder fehlender Einwanderungspolitik deines Herkunftslandes Die hab nicht ich gemacht, musste aber damit leben.
>> mit Auslaenderfeindlichkeit zu beantworten, Warum? Nur weil ich die Geschichte von den Jugoslaven an der Raststaette erzaehlt habe? Da gibts noch eine in einm Restaurant mit schweizer Bedienung. Die haben auch nicht gewusst wie man die Nummer eintippt. Haben dann aber das Handbuch geholt und nachgelesen.
>> ist fuer einen Immigranten wirklich etwas seltsam. Durch meine Ausbildungen und Erziehung bin ich hier eine Bereicherung fuer das Land. Deshalb habe ich auch eine WP erhalten. Ich bin freundlich zu den Menschen, denn die sind es auch zu mir. Wie man in den Wald ruft...
>>Hier in Kanada duerftest du solche Aeusserungen nicht oeffentlich tun, Es gibt auch in der Schweiz ein Gesetz, dass man nicht oeffentlich ueber Auslaender herziehen darf. Da kann ich nur noch den Kopf schuetteln. Ich dachte, die Schweiz sei ein freies Land und ich duerfe sagen was ich denke - weit gefehlt.
>> ohne zumindest mit Missachtung gestraft zu werden. Und dass die Kanadier ach so Auslaender freundlich sind ist vielleicht ein frommer Wunsch. Was ich hier bei ersten Begegnungen mit Misstrauen konfrontiert werde. Und die ganzen Sprueche gegen die Pakistanis und Chinesen. Wo lebst Du denn?
Ich lebe in einer Umgebung, in der diskriminierende Aeusserungen im Allgemeinen nicht geduldet werden. Ob sie Inuit, Schwarze, Jugos, Schweitzer etc. betreffen, ist unbedeutend. Du bist Buerger der Schweitz und insofern mitverantwortlich fuer die Politik deines Landes.
Reading the replies on Duessentriebs post, I'm not whether you understand what it's all about.....
It's a post from the heart, a man writing about his experiences in his former homeland. I second his experiences totally, although from the other side of the counter. I work at a pretty luxurious poultry/game/delicatessen "Geschäft" in one of the best parts of this country and I encounter numerous people a day and their behaviour stupefies me totally, although I'm not easily lost for words.
A total lack of the most basic social skills (such as greeting), simple courtesy (thank you), attentiveness (to not talk with somebody else, mobile or real-life, while you're being helped/served) simple kindness etcetera astonishes me over and over again.
It's not about cash nor about discrimination, not at all! It's about the ongoing decline of civilisation as we know it within our societies.
And who's to blame? Your guess is probably as good as mine....
It's probably got to do with all the people who shake their heads in astonishment, say "Es ist nur so" turn away and simply go on with what they where doing before.
>> Du bist Buerger der Schweitz und insofern mitverantwortlich fuer die Politik deines Landes. Ich bin Softwareentwickler und kein Politiker. Damit ich Einfluss in die Politik meines Landes nehmen koennte, muesste ich mich engagieren. Dann und nur vielleicht koennte ich kleines bewirken. Alles andere ist Stammtisch-Geschwaetz.
Die wirklichen Weichen werden nicht durch einzelne Politiker gestellt sondern "geschehen einfach" - schleichend. Dass - gerade in der Politik - jeder fuer sich schaut ist wohl allen klar. Dass das Wohl des Landes ausser vor steht zeigt juengstes Beispiel der SVP.
Viel wichtiger als all die Schwaetzer waeren eigentlich die Kritiker die das Maul konstruktiv aufmachen wenn es denen nicht passt. Aber das ist dann ganz untypisch schweizerisch und gar nicht gerne gesehen.
@duesenbtrieb: was ich mit "das ist halt so" eigentlich meinte, ist dass man sich gewissen gegebenheiten anpassen muss - hüben wie drüben. wenn deine CC nicht korrekt funktioniert, dann sieh halt zu, dass du genug bargeld dabei hast. es ist ja weiss gott auch in CA so, dass man sich anpassen muss bzw. sich viele sachen gefallen lassen muss. alleine die derzeitige wartezeiten für eine PR sind der hammer...
@kos:
ZitatDer deutsche direkte Ton und insbesondere die deutsche "Ehrlichkeit" werden hier als ungehobelt betrachtet. .
ich glaube es ist nicht nur die "ehrlichkeit" sondern auch die "direktheit" - sprich jemanden ohne umschweife zusagen, was man denkt...
Zitat Ich glaube, der sich in den letzten Jahren eingebuergerte Umgangston in DE ist eher auf Faulheit und Selbstueberheblichkeit zurueckzufuehren
ich kann deine aussage nicht ganz nachvollziehen. ich sehe eine zunehmende ignoranz in DE/EU aufkommen und einen verschärften wettbewerb in der bevölkerung (längere arbeitszeiten, mehr stress, effizienzsteigerungen, etc.) aber "faulheit" oder "selbstueberheblichkeit" sehe ich weniger. ersteres bzw. eine gewises "laissez-faire" würde ich eher den kanadiern zuschreiben und letzteres eher in USA.
ZitatHier in Kanada duerftest du solche Aeusserungen nicht oeffentlich tun, ohne zumindest mit Missachtung gestraft zu werden.
Genau - das ist was ich meine. man darf in CA nicht sagen, was man denkt - auch wenn viele die gleiche meinung teilen